Aus Liebe am Schreiben

Das Hexen 1 mal 1


Unsere kleine Geschichte hätte sich überall abspielen können, doch sie spielte in einem winzigen Dorf im Schwarzwald.
Hortensia war 9 Jahre alt. Da ihre Eltern früh gestorben waren, wurde sie von ihrer Großtante aufgezogen. Tante Euphelia war steinalt, fand Hortensia, aber sie war großzügig und wenn auch manchmal recht eigenartig, auf ihre Weise lieb. Woran Hortensia sich jedoch überhaupt nicht gewöhnen konnte, war ihr Name. Was hatten sich wohl ihre Eltern dabei gedacht, als sie sie auf den Namen Hortensia taufen ließen. Die Tante hatte es sicher gut gemeint, als sie sie vor fünf Jahren adoptierte, doch zu dem ungewöhnlichen Vornamen kam nun auch noch der Name Pfannenstiel, wie grässlich. In der Schule wurde das Mädchen gehänselt und Freunde hatte sie schon gar nicht. In der Schule machten sich die Kinder über das Mädchen lustig, das bei seiner verschrobenen alten Tante wohnte. Zu allem Überfluss hatte Hortensia auch noch rote Zöpfe und Sommersprossen.
Hortensia und Tante Euphelia lebten in einem Haus am Waldrand, das durch und durch verwinkelt und windschief war. Der Giebel mit seinem großen schwarzen Schornstein neigte sich auf der einen Seite schwer herunter, sodass der Eindruck aufkam, er könnte jeden Moment herab stürzen. Die Fenster schlossen nicht mehr richtig, daher hatte der Wind keine Mühe hindurch zu pfeifen. Von außen betrachtet wirkte das Haus recht klein, doch innen war es von beachtlicher Größe. Eine knarrende Treppe führte in den ersten Stock, wo in einem dunklen Flur eine beachtliche Anzahl von Türen auf dahinterliegende Zimmer wies. Rätselhaft war, dass diese Türen erst auftauchten, wenn man den Flur betrat, der sich dann beachtlich vergrößerte, doch das kümmerte Hortensia wenig. Sie liebte das Haus, und wenn sie nicht grade für die Schule übte, was bei ihr nicht oft vorkam, war sie auf dem Dachboden zu finden. Dort standen alte Truhen mit Kleidern aus vergangenen Zeiten, dicken verstaubten Büchern, in denen sie gerne las und bei denen sie, wegen des aufwirbelnden Staubes, regelmäßig niesen musste. Hortensia fing an zu träumen, wenn sie die alten Kleider anzog und sich die Hüte aufsetzte.
Tante Euphelia hatte Hortensia, wie an jedem Abend, bereits den allabendlichen Gute-Nacht-Kuss gegeben. Der Kuss war immer feucht und hinterher musste das Mädchen sich immer erst einmal den Mund mit dem Ärmel ihres Nachthemdes abwischen. Sie horchte, die Tante schien bereits zu schlafen, mit einem Gebräu aus diversen Kräutern ging das sehr schnell, denn Hortensia konnte ihr leises Schnarchen hören. Am Nachmittag hatte sie in einer weiteren Truhe auf dem Dachboden ein großes Buch gefunden. Das Buch lag versteckt unter unzähligen Kleidungsstücken. Es war so schwer, dass Hortensia Schwierigkeiten hatte, es aus der Kiste zu nehmen und auf dem Boden abzulegen. Der Buchtitel war spannend, sodass sie es nicht abwarten konnte hineinzusehen. Hortensia schlich die Holzstiegen empor, die trotz aller Vorsicht einen entsetzlichen Lärm machten, hielt inne und lauschte. Alles blieb still, gut, dass Tante Euphelia so einen festen Schlaf hatte. Sie hockte sich auf die staubigen Holzdielen, doch das war ihr gleich. In goldenen Buchstaben stand dort auf dem Buchdeckel:
Anleitung für kleine Hexen von 1829
von Theofilius Hasenpfeffer
Hortensia grinste, es gab also noch schrecklichere Namen als den ihren. Mit vor Aufregung zitternden Fingern schlug Hortensia das Buch auf. Sie war so gespannt, was sie erwarten würde.
„Ein Zauberbuch“, flüsterte sie ehrfurchtsvoll. Ob sie damit auch zaubern konnte`? Sie wollte es ausprobieren, was konnte schon passieren. Die Tante würde sich bestimmt freuen, wenn sie hier auf dem Dachboden ein wenig Ordnung machen würde. Vielleicht gab es so einen Zauberspruch. Sie schlug das Buch auf, gleich auf der ersten Seite las sie:
„Benutze dieses Buch nur dann, wenn du eine Hexe bist oder eine werden willst. Andernfalls kann es für dich ein böses Ende nehmen.“
Erschrocken schlug Hortensia den Buchdeckel rasch zu. Was sollte sie machen? Sie war keine Hexe, das hätte die Tante ihr bestimmt erzählt. Oder nicht? Wieso gab es hier so ein Buch? Jedoch was sollte passieren? Sie wollte es doch nur ausprobieren. Was, wenn es funktionierte. Bedeutete es, dass sie eine Hexe war? Hortensia zitterte vor Aufregung. Sie schlug das Buch wieder auf und las weiter:
„Überlege genau, was du zu tun gedenkst. Konzentriere dich! Schließe die Augen und sage leise, was du verhexen möchtest. Dann öffne deine Augen und zwinkere dreimal, nicht mehr und nicht weniger. Wenn du dich verzählst, kann ich für nichts garantieren!“
Hortensia stellte sich vor das Buch, schloss die Augen, sagte leise ihren Wunsch und zwinkerte. Hatte sie sich in der Aufregung jetzt verzählt? Am liebsten hätte sie alles rückgängig gemacht, doch es war zu spät. Alles drehte sich um sie, Möbelstücke flogen durch die Luft, die Truhe verfehlte knapp ihren Kopf und landete krachend auf dem Boden. Vor Schreck hielt Hortensia ihre langen roten Zöpfe fest, weil sie ihr dauernd um die Ohren flogen. Sie hatte sich auf den Boden gekauert. Das Chaos hielt nur wenige Minuten an, Hortensia kam es jedoch wie eine Ewigkeit vor. Endlich war der Spuk vorbei und alles wieder still. Langsam hob Hortensia den Kopf, sie hatte die Augen geschlossen und traute sich kaum, sie wieder zu öffnen. Sie öffnete erst ein Auge, dann das zweite, und dann sah sie die Bescherung. Die Möbel waren nur noch Kleinholz, es sah aus wie nach einem Wirbelsturm. Plötzlich hörte Hortensia von unten die Stimme ihrer Tante.

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